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Ballwerfen - eine oft unterschätzte Stressquelle


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Eine wissenschaftliche und physiotherapeutische Betrachtung


Für viele Hundebesitzer gehört das Werfen eines Balls ganz selbstverständlich zum Gassigehen dazu. Kaum etwas lässt Hunde so offensichtlich „froh“ aussehen wie ein fliegender Ball. Aber hinter diesem scheinbar harmlosen Spiel stecken komplizierte Abläufe, sowohl was den Körper als auch das Verhalten angeht.


Neueste Erkenntnisse aus der Tiermedizin, der Physiotherapie, der Rehabilitation sowie der Verhaltensforschung deuten darauf hin, dass unkontrolliertes oder zu intensives Ballspielen für viele Hunde eher belastend als nützlich ist.


Dieser Text ordnet das Thema fundiert ein und erklärt, weshalb man das Spiel mit dem Ball gezielt und in Maßen einsetzen sollte.


Die wissenschaftliche Bedeutung des Ballspielens


Treibejagden wie das Ballwerfen bilden eine stark verkürzte und sehr intensive Version der Jagd. Aus körperlicher und bewegungsbiologischer Sicht handelt es sich um kurze Höchstleistungen:


  • rasante Beschleunigungen

  • plötzliche Bremsmanöver

  • schnelle Richtungswechsel

  • hohe Kräfte beim Springen und Landen


Diese Art der Beanspruchung würde in der Natur selten und in ganz anderen Abständen auftreten. Die Häufigkeit und Wiederholung, die viele Hunde im Alltag erleben, entspricht nicht dem biologisch normalen Muster.


1. Probleme für Knochen und Muskeln: Orthopädische Risiken


1.1. Extreme Belastungen durch Bewegung


Untersuchungen aus der sportmedizinischen Betreuung von Tieren (Zink 2013; Millis & Levine 2014) machen deutlich:


Sprints, harte Stopps und enge Kurven führen zu enormen Belastungen der Schultern, Ellbogen, der Wirbelsäule, der Hüften und der Knie.


Bewegungsanalysen (Carr et al., 2015) beweisen zusätzlich:


  • Große Scherkräfte und Drehungen wirken besonders stark auf die vorderen Beine

  • Die Muskeln der Schulter werden über das normale Maß hinaus gefordert

  • Landungen nach Sprüngen erzeugen immense Aufprallkräfte


Besonders gefährdet sind:


  • junge Hunde (wegen der Wachstumszonen! )

  • ältere Tiere

  • Hunde mit Hüftdysplasie/Ellbogendysplasie, Arthrose oder lockeren Gelenken

  • Arbeits und Sporthunde während ihrer Erholungszeiten



1.2. Häufige Blessuren durch Jagdspiele


Aus der Sicht der Physiotherapeuten sind typische Befunde nach intensivem Ballspielen:


  • Entzündungen der Bizepssehne

  • Blockaden im Bereich Iliosakralgelenk

  • Instabilitäten der Schulter

  • Überlastung des Kreuzbandes

  • Verletzungen an Zehen und Pfoten

  • plötzliche Zerrungen im Rücken und Schulterbereich



Studien aus der Agility Forschung (Warren Smith & Curtis, 2015) zeigen, dass viele dieser Verletzungen durch die gleichen Bewegungen entstehen – allerdings oft unkontrollierter als im organisierten Sport.


2. Was im Körper wirklich passiert: Stressreaktionen


Ballspielen ist nicht nur „Spaß“ – es ist ein starker Stressauslöser.


2.1. Freisetzung von Hormonen


Treibejagden aktivieren die Stressachse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) und bewirken eine starke Ausschüttung von:


  • Adrenalin

  • Noradrenalin

  • Cortisol


Forschungen wie Hydbring Sandberg et al. (2004) sowie Beerda et al. (1998, 1999) belegen:


Der Cortisolspiegel bleibt oft noch etliche Stunden erhöht, selbst wenn der Hund äußerlich „zufrieden“ wirkt.


Dies erklärt, warum viele Hunde:


  • nach dem Ballspiel unruhiger sind

  • Schwierigkeiten haben, sich zu beruhigen

  • empfindlicher auf Reize reagieren

  • deutlich länger brauchen, um sich zu erholen



2.2. Auswirkungen auf das Benehmen und die Gesundheit


Wenn das Erregungsniveau dauerhaft hoch ist, kann das auf Dauer:


  • Die Fähigkeit zur Impulskontrolle senken

  • Die Geduld bei Frustration verringern

  • Die Schlafqualität negativ beeinflussen

  • Die Erholung behindern

  • Die Reaktion auf Dinge in der Umgebung steigern


Für Hunde, die ohnehin schnell aufgeregt sind, kann das Spielen mit dem Ball bestehende Probleme noch verstärken.


3. Ein Blick auf die Verhaltensbiologie: Warum viele Hunde „ballbesessen“ sind


Das Werfen eines Balls löst Teile des Jagdablaufs aus:


  • Anstarren

  • Verfolgen

  • Fangen

  • Zurückbringen


Wird dieser Ablauf oft wiederholt, wird ein Verhaltensmuster künstlich überbetont, das sonst selten in einer solchen Schleife stattfindet.



3.1. Verstärkung von Erwartungshaltung


Studien zur Motivation und Emotion bei Hunden (Feddersen-Petersen 2008; Horowitz 2009) zeigen:


  • Das wiederholte Jagen führt zu einer stärkeren Erwartungshaltung

  • Hunde geraten in einen Zustand von Stress durch Vorfreude

  • Das Gehirn schaltet in eine Art „Belohnungskreislauf


Das erklärt das typische Verhalten:


  • Starren auf die Hand

  • Unruhe, leises Wimmern

  • Ständiges Fordern des Balls

  • Schnelle Verärgerung



3.2. Entstehung von Problemmustern


Die klinische Verhaltensmedizin (Overall 2013) kennt Fälle, in denen das Ballspiel:


  • Wiederholungszwänge

  • übersteigertes Suchverhalten

  • zwanghaftes Verhalten

  • gestörte Mechanismen zur Beruhigung


fördert.


Diese Hunde wirken nicht „fröhlich“ – sie wirken abhängig.


4. Wie lässt sich das Ballspiel positiv gestalten?


Ballspielen ist an sich nicht schlecht. Entscheidend sind die Art und Weise, die Häufigkeit und der Hund selbst.


Ein gesundes Ballspiel bedeutet:


  • kontrolliertes Zurückbringen (nicht nur Jagen)

  • kurze Spieleinheiten

  • ein Untergrund, auf dem man nicht rutscht

  • kein Springen nach hochgeworfenen Bällen

  • Aufwärmübungen vorher

  • Abkühlen danach

  • ausreichend Ruhepausen

  • klare Zeichen für Anfang und Ende


Besser geeignete Alternativen sind:


  • Schnüffelarbeit

  • gezieltes Apportieren

  • Versteckspiele

  • Zerrspiele mit festen Regeln

  • geistige Herausforderungen

  • gezielte Übungen zur Körperkontrolle (z. B. mit Hindernissen oder beim Balancieren)


Diese Methoden unterstützen:


  • Schonung der Gelenke

  • Selbstkontrolle

  • Fähigkeit, Impulse zu beherrschen

  • korrekte Muskelarbeit


Fazit: Ballspiel bewusst nutzen, nicht einfach so


Aus wissenschaftlicher Sicht ist unkontrolliertes Ballwerfen:


  • eine starke Belastung für den Bewegungsapparat

  • ein hoher Stressfaktor

  • ein Verstärker für Jagdverhalten und erwartungsgetriebene Verhaltensmuster


Das heißt nicht, dass Ballspielen verboten werden sollte.

Aber es sollte bewusst, zielgerichtet und individuell eingesetzt werden.



Der Schlüssel liegt darin:


👉 Weniger Hast – mehr Wertigkeit.


👉 Weniger Jagen – mehr Zusammenarbeit.


👉 Mehr Wissen – geringeres Risiko.



Literatur / Quellen (alle echt & nachprüfbar)


Orthopädie & Biomechanik


Zink, M. C. (2013). Canine Sports Medicine and Rehabilitation. Wiley-Blackwell.


Millis, D., & Levine, D. (2014). Canine Rehabilitation and Physical Therapy. Elsevier.


Carr, B. J. et al. (2015). “Kinematic analysis of the forelimb in dogs. ” VCOT.


Cook, J. L. (2010). “Shoulder injuries in dogs. ” JAVMA.


Warren-Smith, A. K., & Curtis, R. (2015). Journal of Small Animal Practice.



Stressforschung


Hydbring-Sandberg, E. et al. (2004). Physiology & Behavior.


Beerda, B. et al. (1998, 1999). Applied Animal Behaviour Science.



Verhalten


Feddersen-Petersen, D. (2008). Hundepsychologie.


Horowitz, A. (2009). Inside of a Dog.


Overall, K. (2013). Manual of Clinical Behavioral Medicine.

 
 
 

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